Gehen wir zunächst ins Jahr 1950 zurück, als Metallurgen und Chemiker versuchten, ein faszinierendes elektrochemisches Phänomen zu beleuchten, das ursprünglich im 17. Jahrhundert von dem Chemiker Sir Humphry Davy entdeckt worden war[1].
Wenn man einen Eisendraht (oder wie die Elektrochemiker sagen: eine Eisenelektrode) in verdünnte Schwefelsäure (die als Elektrolyt gilt) taucht, beginnt er sich sofort aufzulösen - er korrodiert. Verwendet man dann eine andere Elektrode, die nicht korrodiert (z. B. Platin) und schließt die Eisenelektrode an den Minuspol einer Stromquelle und den Platindraht (Elektrode) an den Pluspol an, so verlangsamt sich die Eisenauflösung oder hört sogar auf, je nach angelegter Spannung.
Schließt man dagegen die Eisenelektrode an den Pluspol an und erhöht die Spannung von sehr niedrigen auf höhere Werte, so nimmt die Auflösung mit steigender Spannung exponentiell zu.
Oberhalb einer bestimmten Stromgrenze (die von der Elektrodenfläche, der Elektrolytzusammensetzung und der Temperatur abhängt) fällt der Strom jedoch plötzlich auf sehr niedrige Werte ab, und die Eisenelektrode hört auf, sich aufzulösen. Dieses Phänomen wurde von Michael Faraday entdeckt, der es «Passivierung» nannte. Dieses Phänomen war Gegenstand von Kontroversen und Streitigkeiten, bis in den 1950er Jahren mit der Erfindung des modernen Potentiostaten ein besseres Verständnis möglich wurde (Abbildung 1).
Bei Experimenten, bei denen ein hoher Ohmscher Spannungsabfall auftritt (z. B. bei großen elektrolytischen oder galvanischen Zellen sowie bei Versuchen in nichtwässrigen Lösungen mit geringer Leitfähigkeit), ist eine elektrochemische Zelle mit drei Elektroden vorzuziehen. Bei dieser Anordnung fließt der Strom zwischen der Arbeitselektrode (WE, Working Electrode) und einer Gegenelektrode (Hilfselektrode, CE, Counter Electrode).
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Ohmscher Tropfen Teil 1 – Grundprinzipien
Ohmscher Abfall Teil 2 – Messung
Die Gegenelektrode kann aus jedem verfügbaren Elektrodenmaterial bestehen, da ihre elektrochemischen Eigenschaften das Verhalten der interessierenden Arbeitselektrode nicht beeinflussen. Am besten wählt man eine inerte Elektrode, so dass bei der Elektrolyse keine Stoffe entstehen, die an die Oberfläche der Arbeitselektrode gelangen und dort störende Reaktionen hervorrufen (z. B. Platin oder Kohlenstoff). Da der Strom zwischen der WE und der CE fließt, muss die Gesamtoberfläche der CE (Quelle/Senke der Elektronen) größer sein als die Fläche der WE, damit sie keinen begrenzenden Faktor für die Kinetik des zu untersuchenden elektrochemischen Prozesses darstellt.
Manchmal befindet sich die Gegenelektrode in einer Kammer, die durch eine Sinterglasscheibe oder einen anderen Separator von der Arbeitselektrode getrennt ist (Abbildung 2). So benötigen Elektrolyse-Experimente in der Regel viel längere Zeiten als elektroanalytische Experimente und erfordern daher eine Trennung der Gegenelektrode.
Das Potential der Arbeitselektrode wird in Bezug zu einer separaten Referenzelektrode (RE) überwacht, die möglichst nah an der Arbeitselektrode positioniert ist (bspw. mit einer Luggin-Kapillare, wie in Abbildung 3 dargestellt). Der Potentiostat, der zur Messung der Potentialdifferenz zwischen der Arbeitselektrode und der Referenzelektrode verwendet wird, hat eine sehr hohe Eingangsimpedanz, so dass ein vernachlässigbarer Strom durch die Referenzelektrode fließt. Folglich bleibt das Potential der Referenzelektrode konstant und entspricht ihrer Leerlaufspannung (open circuit potential). Diese Drei-Elektroden-Anordnung wird in den meisten elektrochemischen Experimenten verwendet.
Die Gegenelektrode wird verwendet, um den Stromkreis in der elektrochemischen Zelle zu schließen. Sie besteht in der Regel aus einem inerten Material (z. B. Pt, Au, Graphit oder Glaskohlenstoff) und ermöglicht eine Redoxreaktion, die an deren Oberfläche stattfindet und dadurch die Redoxreaktion an der Oberfläche der WE ausgleicht. Die Produkte dieser Reaktion können zur WE diffundieren und die dort stattfindende Redoxreaktion stören. Bei elektroanalytischen Experimenten wie bspw. der zyklischen Voltammetrie (CV) ist die Zeitdauer des Experiments jedoch zu kurz, als dass diese Diffusion nennenswerte Störungen verursachen könnte. Daher ist es in den meisten Fällen nicht erforderlich, die CE in einer separaten Kammer unterzubringen, wie z. B. in der elektrochemischen Zelle in Abbildung 3 gezeigt.
Das Potentialprofil in einer realen Zelle hängt von den Elektrodenform, der Geometrie, der Leitfähigkeit der Lösung und anderen Faktoren ab. Wird die Referenzelektrode an einer anderen Stelle als genau an der Elektrodenoberfläche der WE platziert, wird ein gewisser Anteil eines unkompensierten Potentials, iRu (aufgrund des unkompensierten Widerstands, iRu), in das gemessene Potential einfließen. Selbst wenn die Referenzelektrode durch Verwendung einer feinen Spitze (Luggin-Kapillare, auch Luggin-Haber-Kapillare genannt) sehr nahe an der Arbeitselektrode platziert wird, bleibt in der Regel ein gewisser unkompensierter Widerstand übrig. Moderne elektrochemische Messgeräte enthalten Schaltungen zur elektronischen Kompensation des iRu-Terms [2].
Einen grundlegenden Überblick über den Aufbau einer elektrochemischen Zelle finden Sie in unserer kostenlosen Application Note.
Wie bereits erwähnt, findet die interessierende elektrochemische Reaktion an der Arbeitselektrode statt, und der dortige Elektronentransfer erzeugt den gemessenen Strom, der zwischen WE und CE fließt. Als allgemeine Regel für genaue Strommessungen und einen ungehinderten Elektronenfluss in der Zelle sollte die Gegenelektrode dreimal so groß sein wie die Arbeitselektrode. Die Kinetik der Elektrolyse im Lösungsmittel ist im Allgemeinen langsam. Die einzige Möglichkeit, sicherzustellen, dass die CE-Reaktion den erforderlichen Zellstrom aufrechterhalten kann, besteht somit darin, die Oberfläche erheblich zu vergrößern (z. B. mit einem Pt-Netz oder einem Pt-Stab/Blech).
In schlecht leitfähigen Medien (oder bei hohen Strömen) sollte jedoch bei der Positionierung der Gegenelektrode in der Zelle (d. h. bei der Zellgeometrie) berücksichtigt werden, wo die Feldlinien zwischen WE und CE verlaufen und ob die WE einem gleichmäßigen Feld ausgesetzt ist. Im Allgemeinen wird hier empfohlen, die Gegenelektrode von der Arbeitselektrode zu entfernen oder diese sogar mittels Separator zu trennen, es sei denn, man ist sicher, dass die WE-Reaktion pH-unempfindlich ist. Die CE-Reaktion hält den Stromfluss aufrecht, aber es ist oft nicht genau bekannt, welche Art von Reaktionen an der Gegenelektrode abläuft. Bei den meisten wässrigen elektrochemischen Experimenten ist es wahrscheinlich die Elektrolyse, die zu einer Änderung des pH-Werts führt.
Wenn es die Anwendung erfordert, kann das Potential der Gegenelektrode während des Experiments mit der S2-Elektrode des VIONIC-Messsystems überwacht werden. Erfahren Sie mehr in unserer kostenlosen Apllication Note.
Messung des Potenzials an der Gegenelektrode mit VIONIC powered by INTELLO
Alternative Gegenelektrodenmaterialien
Platin ist teuer und zu kostspielig, um es für große CE-Flächen zu verwenden. Geeignete alternative Elektrodenmaterialien sind Nickelbasislegierungen oder Kohlenstoff. Dabei ist zu beachten, dass Nickelbasislegierungen passivieren können und Kohlenstoff bei hohen Potentialen der CE oxidiert wird. Daher sollten diese Materialien eine ausreichende Fläche aufweisen, um eine starke Polarisierung zu vermeiden.
Platiniertes Titan ist eine gute Wahl, wenn größere Gegenelektrodenflächen erforderlich sind. Platiniertes Titan wird entweder in Form von Blechen oder Maschengittern hergestellt. Maschengitter (Abbildung 4) haben sehr vorteilhafte Eigenschaften: eine große aktive Fläche im Vergleich zur geometrischen Fläche, und der Elektrolyt kann durch die Gegenelektrode fließen.
Auch an der Gegenelektrode kommt es zu einem Spannungsabfall an der Metall-Elektrolyt-Grenzfläche. Um diesen Spannungsabfall zu verringern, kann es sinnvoll sein, Platin zu verwenden, das mit Platinschwarz beschichtet ist, um die Rauheit und damit die aktive Oberfläche zu vergrößern.
Abschließende Anmerkungen
Bei typischen elektrochemischen Messungen spielt die Größe eine Rolle. Größere Gegenelektroden ermöglichen einen ungehinderten Stromfluss zwischen WE und CE, was zu stabileren und aufschlussreicheren Experimenten führt. Ebenso wichtig ist es, dass die Gesamtkonfiguration der Zelle die erforderliche Stromdichteverteilung gewährleistet. So kann eine parallel zur Arbeitselektrode angebrachte Gegenelektrode derselben Größe wie die Arbeitselektrode die Stromverteilung optimieren, ohne dass die Größe der Gegenelektrode nennenswerte nachteilige Auswirkungen hat.
Die Reaktion an der CE sollte schnell ablaufen, so dass der Potentialabfall zwischen der Gegenelektrode und dem Elektrolyten die Polarisation nicht einschränkt.
Die Reaktionsprodukte, die an der Gegenelektrode entstehen, sollten die Lösung nicht verunreinigen. In der Praxis wird es an der Gegenelektrode immer eine elektrochemische Reaktion geben, und die Produkte dieser Reaktion sollten nicht störend sein oder leicht entfernt werden können. Oftmals werden inerte Elektroden aus Platin oder Graphit eingesetzt. In diesem Fall handelt es sich bei den Reaktionsprodukten in der Regel um Gase (Sauerstoff oder Chlor bei anodischer Reaktion, Wasserstoff bei kathodischer Reaktion), die durch einen Luft- oder Stickstoffstrom an der Gegenelektrode entfernt werden können (obwohl es auch zu einer pH-Änderung an der CE kommen kann).
Weitere Informationen für Sie
Referenzen und Vorschläge für weiterführende Literatur
[1] Ritter, D. Humphry Davy: Wissenschaft und Macht (Band 2 der Cambridge Science Biographies); Cambridge University Press: Cambridge, Großbritannien, 1998.
[2] Bard, A. J.; Faulkner, L. R. Elektrochemische Methoden: Grundlagen und Anwendungen , New York: Wiley, 2001, 2. Auflage. Russisches Journal für Elektrochemie , 2002 , 38 , 1364–1365. doi:10.1023/A:1021637209564
[3] Yang, W., Dastafkan, K., Jia, C., et al. Design von Elektrokatalysatoren und elektrochemischen Zellen für Kohlendioxid-Reduktionsreaktionen. Adv. Mater. Technol. 2018 , 3 , 1700377. doi:10.1002/admt.201700377
[4] Cottis, R. A. 2.30 – Elektrochemische Methoden. In Shreirs Korrosion; Cottis, B., Graham, M., Lindsay, R., Lyon, S., Richardson, T., Scantlebury, D., Stott, H., Hrsg.; Universität Manchester: Manchester, Großbritannien, 2010; Bd. 2, S. 1341–1373. doi:10.1016/B978-044452787-5.00068-8
[5] Vanýsek, P. Einfluss der Elektrodengeometrie, Eintauchtiefe und Größe auf Impedanzmessungen. Kanadisches Journal für Chemie 1997 ,75(11) , 1635–1642.doi:10.1139/v97-194