Die Titration ist eine bewährte Analysetechnik, die jeder Chemiestudent lernt. Sie wird in fast jedem analytischen Labor entweder als manuelle Titration, photometrische Titration oder potentiometrische Titration durchgeführt. In diesem Blogeintrag möchte ich Ihnen eine weitere Art der Titration vorstellen, von der Sie vielleicht noch nie gehört haben - die thermometrische Titration - die als das fehlende Teil des Titrationspuzzles betrachtet werden kann.
Hier möchte ich folgende Themen behandeln:
- Was ist thermometrische Titration?
- Warum eine thermometrische Titration in Betracht ziehen?
- Praktische Anwendungsbeispiele
Was ist thermometrische Titration?
Auf den ersten Blick sieht die thermometrische Titration (TET) wie eine normale Titration aus, und aus kurzer Entfernung ist kein grosser (oder gar kein) Unterschied zu erkennen. Die Unterschiede zur potentiometrischen Titration liegen in den Details.
Die TET basiert auf dem Prinzip der Enthalpieänderung (ΔH). Jede chemische Reaktion ist mit einer Enthalpieänderung verbunden, die ihrerseits eine Temperaturänderung bewirkt. Bei einer Titration reagieren Analyt und Titriermittel entweder exotherm (Temperaturanstieg) oder endotherm (Temperaturabfall).
Bei einer thermometrischen Titration wird das Titriermittel mit konstanter Geschwindigkeit zugegeben, und die durch die Reaktion zwischen Analyt und Titriermittel verursachte Temperaturänderung wird gemessen. Durch Auftragen der Temperatur gegen das zugegebene Titriermittelvolumen kann der Endpunkt durch einen Knick in der Titrationskurve bestimmt werden. Abbildung 1 zeigt idealisierte thermometrische Titrationskurven sowohl für exotherme als auch für endotherme Situationen.
Was passiert bei einer thermometrischen Titration?
Bei einer exothermen Titrationsreaktion steigt die Temperatur mit der Zugabe von Titriermittel an, solange noch Analyt vorhanden ist. Wenn der gesamte Analyt verbraucht ist, nimmt die Temperatur wieder ab, da sich die Lösung an die Umgebungstemperatur anpasst und/oder aufgrund der Verdünnung der Lösung mit Titriermittel (Abbildung 1, linkes Diagramm). Dieser Temperaturabfall führt zu einem exothermen Endpunkt.
Im Gegensatz dazu nimmt bei einer endothermen Titrationsreaktion die Temperatur mit der Zugabe von Titriermittel ab, solange noch Analyt vorhanden ist. Wenn der gesamte Analyt verbraucht ist, stabilisiert sich die Temperatur oder steigt wieder an, da sich die Lösung an die Umgebungstemperatur anpasst und/oder durch die Verdünnung der Lösung mit Titriermittel (Abbildung 1, rechtes Diagramm). Dieser Temperaturabfall führt zu einem endothermen Endpunkt.
Die Kenntnis der absoluten Temperatur, die Isolierung des Titriergefässes oder dessen Thermostatisierung sind daher für die Titration nicht erforderlich.
Um die kleinen Temperaturänderungen während der Titration zu messen, ist ein sehr schnell reagierender Thermistor (thermally-sensitive resistor = elektrischer Widerstand, dessen Wert sich mit der Temperatur reproduzierbar ändert) mit einer hohen Auflösung erforderlich. Diese Sensoren sind in der Lage, Temperaturunterschiede von weniger als 0,001 °C zu messen, und ermöglichen die Erfassung eines Messpunkts alle 0,3 Sekunden (Abbildung 2).
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Warum eine thermometrische Titration in Betracht ziehen?
Potentiometrische und photometrische Titration sind als instrumentelle Titrationstechniken bereits gut etabliert. Warum sollte man stattdessen die thermometrische Titration in Betracht ziehen?
TET hat die gleichen Vorteile wie jede andere instrumentelle Titrationstechnik:
- Kostengünstige Analysen: Titrationsgeräte sind kostengünstig in der Anschaffung und verursachen im Vergleich zu anderen Geräten für die Elementaranalyse (z. B. HPLC oder ICP-MS) keine hohen Betriebs- und Wartungskosten.
- Absolute Methode: Die Titration ist eine absolute Methode, d.h. es ist nicht erforderlich, das System häufig zu kalibrieren.
- Vielseitiger Einsatz: Die Titration ist eine universelle Methode, die zur Bestimmung vieler verschiedener Analyten in unterschiedlichen Branchen eingesetzt werden kann.
- Einfach zu automatisieren: Die Titration kann leicht automatisiert werden, was die Reproduzierbarkeit und Effizienz in Ihrem Labor erhöht.
Weitere Informationen darüber, wie die Automatisierung von Titrationen Ihr Labor entlasten kann, finden Sie in unserem früheren Blog-Artikel.
Warum Automatisierung in Betracht ziehen – auch für einfache Titrationen?
Im Vergleich zur klassischen instrumentellen Titration bietet die thermometrische Titration mehrere zusätzliche Vorteile:
- Schnelle Titrationen: Aufgrund der konstanten Titriermittelzugabe erfolgen thermometrische Titrationen sehr schnell. Normalerweise dauert eine thermometrische Titration 2–3 Minuten.
- Einzelsensor: Unabhängig von der Titrationsreaktion (z. B. Säure-Base, Redox, Fällung, …) kann für alle derselbe Sensor (Thermoprobe) verwendet werden.
- Wartungsfreier Sensor: Die Thermoprobe ist wartungsfrei, erfordert keine Kalibrierung oder Elektrolytbefüllung und kann einfach trocken gelagert werden.
- Weniger Lösungsmittel: Für thermometrische Titrationen werden in der Regel 30 mL Lösungsmittel oder sogar weniger benötigt. Die geringe Menge an Lösungsmittel sorgt dafür, dass die Verdünnung minimiert wird und die Enthalpieänderungen zuverlässig erfasst werden können. Ein weiterer Vorteil ist, dass weniger Abfall anfällt.
- Zusätzliche Titrationen möglich: Da mit jeder chemischen Reaktion auch eine Enthalpieänderung einhergeht, muß man für eine thermometrische Titration nicht erst einen geeigneten Farbindikator oder eine Indikatorelektrode finden. Dadurch werden auch Titrationen auswertbar, für die bisher keine anderen Indikationsmöglichkeiten bestehen.
- Einfachere Probenvorbereitung: Da bei der TET meist höhere Titriermittelkonzentrationen verwendet werden, können größere Probenmengen eingesetzt werden, wodurch Einwaage- und Verdünnungsfehler reduziert werden. Mühsame Probenvorbereitungsschritte wie die Filtration können ebenfalls entfallen.
Lernern Sie im folgenden Link mehr über das 859 Titrotherm-System für die zuverlässigsten TET-Bestimmungen.
Praktische Anwendungsbeispiele
In diesem Abschnitt werde ich einige praktische Beispiele für die Anwendung von TET aufzeigen.
Säurezahl und Basenzahl
Die Säurezahl (AN) und die Basenzahl (BN) sind zwei wichtige Parameter in der Erdölindustrie. Sie werden durch eine nichtwässrige Säure-Base-Titration mit KOH bzw. HClO4 als Titriermittel bestimmt.
Bei solchen Bestimmungen werden sehr schwache Säuren (für die AN-Analyse) und Basen (für die BN-Analyse) mit nur geringen Enthalpieänderungen titriert. Mit Hilfe eines katalytischen Indikators können diese schwachen Säuren und Basen dennoch mittels TET bestimmt werden.
ASTM D8045 beschreibt die Analyse des AN durch thermometrische Titration. Die Vorteile dieser Methode sind:
- Weniger Lösungsmittel (30 mL statt 60 oder 120 mL), d.h. weniger Abfall
- Schnelle Titration (1–3 Minuten)
- Keine Konditionierung des Sensors
Wenn Sie mehr darüber erfahren möchten, wie gut die Ergebnisse der AN-Bestimmung nach ASTM D8045 mit ASTM D664 korrelieren, laden Sie unser kostenloses White Paper sowie unser Prospekt herunter.
White Paper: Korrosion vermeiden – Eine neue Methode zur TAN-Bestimmung in Rohöl und Erdölprodukten
Für detailliertere Informationen über die Titration selbst können Sie folgenden kostenlosen Application Bulletins herunterladen.
AB-427: Säurezahl in Rohölen und Erdölprodukten durch thermometrische Titration nach ASTM D8045
Natrium
Bei der herkömmlichen Titration wird der Salzgehalt in Lebensmitteln in der Regel nur anhand des Chloridgehalts bestimmt. Lebensmittel enthalten jedoch in der Regel zusätzliche Natriumquellen, z. B. Mononatriumglutamat (auch bekannt als "MSG"). Mit TET ist es möglich, den Natriumgehalt direkt zu titrieren und so kostengünstig den wahren Natriumgehalt in Lebensmitteln zu bestimmen, wie es in mehreren Ländern vorgeschrieben ist.
Wenn Sie mehr über die Natriumbestimmung erfahren möchten, schauen Sie sich unser Metrohm-LabCast-Video an:
Ausführlichere Informationen über die Titration selbst finden Sie im kostenlosen Application Bulletin, das Sie hier herunterladen können.
AB-298: Automatisierte Natriumbestimmung in verschiedenen Lebensmitteln mit 859 Titrotherm
Düngemittel-Analyse
Düngemittel bestehen aus verschiedenen Nährstoffen, darunter Phosphor, Stickstoff und Kalium, die für das Pflanzenwachstum wichtig sind. Der TET ermöglicht die Analyse dieser Nährstoffe, indem er klassische gravimetrische Reaktionen als Grundlage für die Titration verwendet (z. B. die Ausfällung von Sulfat mit Barium). Dies ermöglicht eine schnelle Bestimmung, ohne stundenlang auf ein Ergebnis warten zu müssen, wie bei herkömmlichen Verfahren, die auf dem Trocknen und Wiegen des Niederschlags beruhen.
Nährstoffe
die mit dem TET analysiert werden können, sind:
- Phosphat
- Calium
- Ammoniak-Stickstoff
- Harnstoff-Stickstoff
- Sulfat
Möchten Sie mehr über die Analyse von Düngemitteln mit thermometrischer Titration erfahren? Laden Sie unsere kostenloses White Paper uu diesem Thema herunter.
Ausführlichere Informationen zu den verschiedenen Düngemittelanwendungen finden Sie im Metrohm-Application Finder:
Metrohm Application Finder: TET-Applikationen für Düngemittel
Metallorganische Verbindungen
Metallorganische Verbindungen, wie Grignard-Reagenzien oder
Butyl-Lithium-Verbindungen werden für die Synthese von pharmazeutischen Wirkstoffen (APIs) oder die Herstellung von Polymeren wie Polybutadien verwendet. Mit TET kann die Analyse dieser empfindlichen Spezies schnell und zuverlässig durchgeführt werden, indem sie unter Inertgas mit 2-Butanol titriert werden.
Wenn Sie mehr über dieses Thema erfahren möchten, lesen Sie unsere entsprechende kostenlose Application Note.
Bestimmung metallorganischer Verbindungen
Dies waren nur einige Beispiele für die Möglichkeiten der thermometrischen Titration, um deren vielseitigen Einsatz zu demonstrieren. ine ausführlichere Auswahl finden Sie in unserem Application Finder.
Zusammenfassung:
- TET ist eine alternative Titrationsmethode, die auf einer Enthalpieänderung beruht
- Eine schnelle und empfindliche Thermoprobe wird zur Bestimmung exothermer und endothermer Endpunkte verwendet
- Die thermometrische Titration ist eine schnelle Analysetechnik,
die Ergebnisse in weniger als 3 Minuten liefert. - Die thermometrische Titration kann für verschiedene Analysen eingesetzt werden, u.a. für Titrationen, die auf andere Weise nicht durchgeführt werden können (z. B. die Natriumbestimmung).
Ich hoffe, dieser Überblick hat Ihnen einen besseren Einblick in die thermometrische Titration gegeben - das fehlende Teil des Titrationspuzzles.