Chemie – eine Naturwissenschaft?
Lange Zeit war die Chemie eine Disziplin, die den anderen Naturwissenschaften hinterherhinkte. Die Sehnsucht der Menschen, den Tod zu überlisten und die Armut zu überwinden, war einfach zu stark, als dass sie sich von den Verheißungen der Alchemie abwandten und sich auf das eigentliche wissenschaftliche Studium einließen.
In diesem Artikel, dem ersten unserer vierteiligen Serie über die Geschichte der Chemie, wird untersucht, wie die Chemie den Mystizismus der Alchemie hinter sich gelassen hat.
Die Ursprünge der Chemie
Die Menschen sind seit Jahrtausenden von der Chemie fasziniert. Die erste Anwendung chemischer Verfahren geht auf das vierte Jahrtausend v. Chr. zurück und betraf die Gewinnung von Metallen aus Mineralerzen. Der Übergang von der Chemie als rein praktisches Hilfsmittel zu einer vollwertigen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit ihren zahlreichen Forschungsgebieten erfolgte jedoch erst viel später. Erst in der griechischen Antike dokumentierten Naturphilosophen diese Art der Auseinandersetzung mit der Natur und die daraus resultierenden Versuche, die Welt, wie sie uns erscheint, zu erklären.
Demokrit (ca. 460-371 v. Chr.) zum Beispiel beschäftigte sich mit der Struktur der Materie. Wie sein Mentor Leucippus war er davon überzeugt, dass sich die Materie aus winzigen, unteilbaren Teilchen zusammensetzt. Demokrit selbst war es, der den Begriff „Atom“ prägte, der sich vom griechischen Wort „átomos“ (auf Englisch „unteilbar“) ableitet.
Alchemie – eine geheime Wissenschaft
Aus den theoretischen Grundlagen der griechischen Naturphilosophen ging später die Alchemie hervor, die wie die modernen Wissenschaften darauf abzielte, durch Experimente Erkenntnisse über die Natur zu gewinnen.
Diese Ideen wurden von Griechenland aus nach Ägypten und Babylon verbreitet und erreichten viel später auch das mittelalterliche Westeuropa. Der Fortschritt der Alchemie war jedoch lange Zeit mit zahlreichen Stolpersteinen behaftet. Einige der grundlegenden Prämissen der Alchemie, die nicht auf Naturbeobachtungen, sondern auf Mystik und Aberglauben beruhten, standen echten wissenschaftlichen Entdeckungen im Weg. Erschwerend kam hinzu, dass die alchemistische Fachsprache uneinheitlich war und darüber hinaus absichtlich vage und unverständlich blieb, um Außenstehende von ihren Geheimnissen auszuschließen.
Ungeachtet ihrer Fehler verfügten die Alchemisten des Mittelalters – für ihre Zeit – über ein solides Grundverständnis der Wissenschaft. Sie lernten, mit Materialien zu experimentieren, und verstanden es besser als jeder andere, reine Stoffe und Bestandteile der Materie zu isolieren und neue Mischungen herzustellen. Die Fähigkeiten der Alchemisten qualifizierten sie für die Arbeit in Bergwerken, Münzstätten, als Schmiede und in Apotheken.
In diesen Positionen isolierten sie bis dahin unbekannte Substanzen, verbesserten Methoden zur Konservierung von Lebensmitteln und schufen Legierungen - doch wissenschaftliche Entdeckungen blieben rar gesät. Die Grundlagen der Alchemie waren noch nicht so weit, um einen umfassenden, systematischen Ansatz für die Chemie zu entwickeln.
Kartesischer Zweifel
Die objektive Erforschung der natürlichen Welt wurde erstmals möglich, als der Denker der Renaissance begann, alles in Frage zu stellen, was nicht eindeutig und zweifelsfrei offensichtlich war.
Der französische Philosoph René Descartes (1596-1650) revolutionierte die Naturwissenschaften mit seiner Methode des Zweifels, mit der Annahmen hinterfragt werden konnten, um systematisch Wissen zu entwickeln. Selbst die Lehren religiöser Autoritäten wurden in Zweifel gezogen, was damals ein großes Tabu war. Descartes plädierte auch für die Mathematik als Grundlage aller Naturwissenschaften, um die Natur nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ beschreiben und erklären zu können.
Im Bereich der Physik setzt sich Descartes' Ideen schnell durch und wurde von anderen Wissenschaftlern, darunter Isaac Newton (1643-1727), aufgegriffen und weiterentwickelt. Die Arbeit von Descartes und Newton war der Katalysator für rasche Fortschritte in der Physik und Astronomie, während die Chemie noch hinterherhinkte: Newton selbst verbrachte sein Leben mit der Suche nach dem „Stein der Weisen“ – einem Material, das angeblich unedle Metalle durch den als „Transmutation“ bekannter Prozess in Gold verwandeln konnte.
Der Übergang von der Alchemie zur Chemie
Robert Boyle (1627-1692) war ein Pionier der modernen Chemie. Er gehörte zu den ersten, die versuchten, das Wissen der Alchemisten über Stoffeigenschaften und Reaktionen in einer umfassenden Theorie zusammenzufassen, und entmystifizierte die Chemie und ihre Nomenklatur.
Boyle war es, der das „Element“ als Endprodukt der Analyse, d.h. als reine Substanz, definierte. Sein rationaler Ansatz war bis dahin einzigartig auf dem Gebiet der Chemie. Seine Erkenntnisse veröffentlichten er 1661 in seinem bahnbrechenden Werk “The Sceptical Chymist". Diese Veröffentlichung läutete den Übergang von der Alchemie zur Chemie ein, was sich auch im Titel des Buches widerspiegelt, da die Vorsilbe „Al“ weggelassen wurde. Dennoch praktizierte Boyle die Alchemie bis an sein Lebensende und glaubte weiterhin an die Transmutation. Der endgültige Durchbruch der Chemie musste bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts warten.
Abstecher: Elektrochemie
Im Jahr 1800 entwickelt Alessandro Volta (1745-1827) die erste Batterie: die Voltasche Säule. Mit dieser Erfindung begann die Geschichte der Elektrochemie. Die Säule bestand aus übereinander gestapelten, entsprechend angeordneten Kupfer- und Zinkplatten, die durch ein mit einer Elektrolytlösung getränktes Gewebe voneinander getrennt waren. Humphry Davy (1778-1829) nutzte die Säule für seine elektrochemischen Experimente und entdeckte 1807 und 1808 zahlreiche Elemente (darunter Natrium, Kalium, Calcium und Magnesium) durch Elektrolyse von Salzlösungen oder heißen, geschmolzenen Salzen.
Davy isolierte auch Chlor, das mit Wasser zu Chlorwasserstoff reagierte, durch die Elektrolyse von Kochsalzlösung. Bis zu diesem Zeitpunkt war man davon ausgegangen, dass Sauerstoff der Hauptbestandteil aller Säuren ist. Da im Chlorwasserstoff jedoch kein Sauerstoff vorkommt, entdeckte Davy, dass es der Wasserstoff ist, der einer Verbindung die Eigenschaften einer Säure verleiht.
In der nächsten Folge werden wir uns mit der Rückkehr zum Atomismus und der Entstehung der modernen Chemie zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert befassen. Klicken Sie weiter unten, um direkt zum nächsten Beitrag zu gelangen!